Verschmelzung und Berufung im französischen Strafrecht
In einem richtungsweisenden Urteil vom 29. April 2025 (Nr. 24-81.555) hat die Strafkammer des französischen Kassationshofs klargestellt, wie mit Berufungen umzugehen ist, wenn eine Gesellschaft während des Verfahrens durch Verschmelzung durch Aufnahme (fusion-absorption) erloschen ist. (Mehr zum M&A in Frankreich)
Konkret ging es um ein Berufungsverfahren gegen ein strafrechtliches Urteil wegen Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften. Nach der Verurteilung in erster Instanz war eine der beiden betroffenen Gesellschaften durch Verschmelzung von der anderen aufgenommen worden. Die aufnehmende Gesellschaft legte Berufung ein – ohne ausdrücklich zu erklären, dass dies auch für die verurteilte, nicht mehr existierende Gesellschaft gelten solle.
Die Berufungsinstanz hatte daraufhin lediglich über die aufnehmende Gesellschaft entschieden und die Verurteilung der absorbierten Gesellschaft als rechtskräftig erklärt, da deren Rechtspersönlichkeit erloschen sei. Diese Entscheidung wurde vom Kassationshof aufgehoben.
Die Richter betonten, dass die Wirkung der Berufung („effet dévolutif“) sich ausschließlich aus dem Wortlaut des Berufungsschriftsatzes und der Stellung des Berufungsführers ergibt. Im Falle einer fusion-absorption ist die aufnehmende Gesellschaft Rechtsnachfolgerin der aufgenommenen Gesellschaft und übernimmt auch deren prozessuale Stellung. Wenn im Berufungsschriftsatz der aufnehmenden Gesellschaft Bezug auf die ursprünglichen Entscheidungen gegen die aufgenommene Gesellschaft genommen wird, gilt die Berufung als auch im Namen der aufgenommenen Gesellschaft eingelegt – außer es wird ausdrücklich ausgeschlossen.
Der Kassationshof folgt damit einer klaren Linie: Eine Verschmelzung führt zu einem umfassenden Rechtsübergang, einschließlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Die Gerichte müssen das Berufungsrecht effektiv schützen und dürfen sich nicht auf formale Argumente berufen, wenn der Wille zur umfassenden Anfechtung im Berufungsschriftsatz erkennbar ist.
Diese Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit in Unternehmensnachfolgeprozessen in Frankreich und betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Analyse von Berufungsschriftsätzen bei gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen.
22.05.2025